Totenfürsorge Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht hat sich befassen müssen mit dem Recht der Totenfürsorge in einer Entscheidung, wo es am Ende um die Kostentragungspflicht der Prozesskosten ging. Die Vorinstanz hatte aufgrund der Erledigung der Hauptsache die gesamten Kosten der Klageführerin aufgebürdet, die den Verwaltungsgerichtsprozess angestrengt hatte. Gegen dieses Kostenentscheidung hat die Klageführerin eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, die positiv für die Totenfürsorgeberichtige entschieden wurde. Allerdings wird, wie so oft, auch in der Urteilsbegründung nochmal sehr deutlich unterstrichen, dass die Totenfürsorge, also das Recht sich um die Bestattung zu kümmern, direkt angebunden ist an Art 2 I  des Grundgesetzes – freie Entfaltung der Persönlichkeit.  Diesen möglichen Gestaltungsspielraum ausnutzen zu können, wie und in welcher Form und Größe eine Bestattung und Trauerfeier durchgeführt ist ein Gestaltungsrecht des Totenfürsorgeberechtigten. Ein Verweis des Betroffenen, dass wegen der Langsamkeit der Beschlüsse der Sozialbehörde eine Amtsbestattung, link, vorgenommen werden soll, ist nicht zulässig und eine verwaltungsrechtliche Klage gegen diese Aufklage mit Ersatzvornahmeandrohung absolut zulässig wegen des hohen Rechtsgutes von Art 2 I GG, dass dem Totenfürsorgeberechtigten zusteht. Der Betroffene muss sich nicht mit der Amtsbestattung zufrieden geben.

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Das Bundesverfassungsgericht schreibt:

Das Recht, als nächster Angehöriger über den Leichnam zu bestimmen und über die Art der Bestattung sowie die letzte Ruhestätte zu entscheiden (Totenfürsorge), hat einen engen Bezug zur freien Entfaltung der Persönlichkeit und findet jedenfalls in Art. 2 Abs. 1 GG eine verfassungsrechtliche Stütze.

In der hier nach nur 4 Jahren vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreichen Verfassungsbeschwerde wandte sich die Beschwerdeführerin gegen einen Einstellungsbeschluss des Oberverwaltungsgerichts nach beidseitiger Erledigungserklärung1 sowie gegen die Zurückweisung ihrer Anhörungsrüge2. Beide Beschlüsse waren im Zusammenhang mit einer Streitigkeit um eine bestattungsrechtliche Ordnungsverfügung ergangen.

Die Beschwerdeführerin lebt seit einiger Zeit von Leistungen nach dem SGB II. Am 5.02.2011 starb ihr Vater und wurde in die Kühlräume eines Bestattungsinstituts verbracht. Am 10.02.2011 stellte die Beschwerdefüherin (Tochter) beim Sozialamt einen Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten nach § 74 SGB XII. Die Bestattung hatte sie zu diesem Zeitpunkt mangels finanzieller Mittel nicht in Auftrag gegeben.

Mit Verfügung vom 18.02.2011 forderte das Ordnungsamt die Tochter zur Veranlassung der Bestattung ihres Vaters bis zum 22.02.2011 auf und stützte dies auf die polizeirechtliche Generalklausel des § 174 des Landesverwaltungsgesetzes Schleswig-Holstein (LVwG SH). Nach § 16 Abs. 1 des Bestattungsgesetzes Schleswig-Holstein (BestattG SH) solle der Verstorbene binnen neun Tagen bestattet sein. Da die Bestattung des Verstorbenen keinen Aufschub dulde, könne nicht auf die Bescheidung des insoweit bereits gestellten Antrags der Tochter auf Übernahme der Bestattungskosten gewartet werden. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet und die Ersatzvornahme angedroht. Die Tochter legte Widerspruch gegen die Ordnungsverfügung ein und stellte beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs.

Mit Beschluss vom 22.02.2011 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Tochter ab, da die Ordnungsverfügung offensichtlich rechtmäßig sei. Dagegen ging die Tochter mit der Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht vor.

Am 25.02.2011 wurde der Tochter von der Aufsichtsbehörde mitgeteilt, dass die Bestattungskosten übernommen würden. Der Vater der Tochter wurde am 3.03.2011 bestattet. Mit Bescheid vom 10.03.2011 gewährte das Sozialamt der Tochter die Übernahme der Bestattungskosten. Die Tochter erklärte daraufhin das Beschwerdeverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht unter Verwahrung gegen die Kostenlast in der Hauptsache für erledigt.
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Mit Beschluss vom 04.03.2011 stellte das Oberverwaltungsgericht das Beschwerdeverfahren nach der übereinstimmenden Erledigungserklärung der Beteiligten ein. Die Kosten des Verfahrens wurden nach § 161 Abs. 2 VwGO der Tochter auferlegt, da ihr Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Ordnungsverfügung keinen Erfolg gehabt hätte. Die Verfügung sei rechtmäßig, zudem sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung geboten gewesen. Dies habe auch die Tochter allem Anschein nach eingesehen, da sie zwischenzeitlich die Bestattung veranlasst und hierdurch das erledigende Ereignis herbeigeführt habe.

Mit Beschluss vom 04.05.2011 wies das Oberverwaltungsgericht die hiergegen gerichtete Anhörungsrüge der Tochter zurück.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Tochter unter anderem die Verletzung ihres verfassungsrechtlichen Rechts auf Totenfürsorge durch die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts. Sie könne nicht auf die unwürdige Bestattung ihres Vaters im Wege der Ersatzvornahme als Vollstreckung der Ordnungsverfügung verwiesen werden, solange anderweitig ein Verfahren über die Bewilligung einer Sozialbestattung laufe. Dieses habe schließlich auch Erfolg gehabt. Es könne nicht sein, dass sie trotz des Erfolgs in der Sache die Gerichts- und Rechtsanwaltskosten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegen die Ordnungsverfügung tragen müsse.

Das Land Schleswig-Holstein, das Bundesverwaltungsgericht und der Antragsgegner des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Antragsgegner des Ausgangsverfahrens verweist auf das durchgeführte verwaltungsgerichtliche Verfahren, die hierzu abgegebenen Stellungnahmen sowie die ergangenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. Das Land Schleswig-Holstein hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hat sich ausführlich insbesondere zur einfachgesetzlichen Rechtslage geäußert. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Rechts auf Totenfürsorge der Tochter (Art. 2 Abs. 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits geklärt3. Die insoweit zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet.

Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die Tochter in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG.

Das Bundesverfassungsgericht prüft nur die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts, nicht dagegen die zutreffende Anwendung des einfachen Rechts. Entscheidend ist, ob bei der Anwendung des einfachen Rechts Fehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind4.
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Für die gemäß § 161 Abs. 2 VwGO zu treffende Kostenentscheidung nach der übereinstimmenden Erledigungserklärung der Beteiligten kommt es darauf an, wer die Kosten hätte tragen müssen, wenn sich die Hauptsache nicht erledigt hätte. Dies ist diejenige Seite, die im Rechtstreit voraussichtlich unterlegen wäre. Dabei kommt es letztlich auf die voraussichtliche Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung an. Sind die Erfolgsaussichten völlig offen, so sind die Kosten den Beteiligten je zur Hälfte aufzuerlegen5. Ermessensentscheidungen werden von den Fachgerichten nach Maßgabe des § 114 Satz 1 VwGO überprüft. Sie haben sicherzustellen, dass Grundrechte im Rahmen der behördlichen Ermessensausübung hinreichend beachtet wurden.

Dem kam das Oberverwaltungsgericht nicht in hinreichender Weise nach. Es berücksichtigte bei der Überprüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsstreits die Wahrnehmung der Totenfürsorge seitens der Tochter in ihrer Bedeutung für die Entfaltung ihrer Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) in keiner Weise, worin eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung dieses Grundrechts im konkreten Rechtsfall liegt.

Das Recht der Tochter als nächster Angehöriger, über den Leichnam zu bestimmen und über die Art der Bestattung sowie die letzte Ruhestätte zu entscheiden, hat einen engen Bezug zur freien Entfaltung der Persönlichkeit und findet jedenfalls in Art. 2 Abs. 1 GG eine verfassungsrechtliche Stütze. Dies bedurfte bei der Einschätzung der Erfolgsaussichten der Berücksichtigung. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich bei den der Ordnungsverfügung zugrunde liegenden Vorschriften der § 174 LVwG SH und § 16 Abs. 1 BestattG SH um Ermessensvorschriften handelt und eine Bestattung im Wege der Ersatzvornahme – unabhängig von einer etwaigen Kostentragungslast – einer Einflussnahme der Angehörigen entgegensteht. Nach der polizeirechtlichen Generalklausel des § 174 LVwG SH, worauf die Ordnungsverfügung gestützt wurde, haben die Ordnungsbehörden und die Polizei im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder der einzelnen Person Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit bedroht wird. Nach § 13 Abs. 1 BestattG SH sind Leichen zu bestatten. Nach § 13 Abs. 2 BestattG SH haben für die Bestattung die Hinterbliebenen oder eine von der verstorbenen Person zu Lebzeiten beauftragte Person oder Einrichtung zu sorgen. Nach § 16 Abs. 1 BestattG SH soll innerhalb von neun Tagen nach Todeseintritt die Erdbestattung oder die Einäscherung vorgenommen werden. Diese Frist kann die Gemeinde nach § 16 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BestattG SH verlängern, wenn Belange des Gesundheitsschutzes oder andere schwerwiegende Gründe nicht entgegenstehen.

Damit waren die für die Beurteilung der Erfolgsaussichten nach § 161 Abs. 2 VwGO maßgeblichen Normen hinreichend offen formuliert, um eine Berücksichtigung grundrechtlicher Positionen zumindest zu ermöglichen. Ob das Recht auf Totenfürsorge nicht nur durch Art. 2 Abs. 1 GG, sondern darüber hinaus auch durch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) geschützt ist, muss nicht entschieden werden. Entscheidend ist, dass es an einer Berücksichtigung grundrechtlicher Rechtspositionen der Tochter bei der Kostenentscheidung überhaupt fehlt.

Ob zugleich die Verletzung weiterer gerügter Grundrechte vorliegt, kann dahingestellt bleiben.

Die angegriffenen Beschlüsse beruhen auf dem dargestellten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberverwaltungsgericht bei einer erneuten Entscheidung zu einem anderen Ergebnis kommen wird. Die Beschlüsse des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts waren daher aufzuheben. Die Sache war zur Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

, Beschluss vom 25. Dezember 2016 – 1 BvR 1380/11
1.Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 04.03.2011 – 2 MB 9/11↩
2.Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 04.05.2011 – 2 MB 11/11↩
3.vgl. BVerfGE 18, 85, 93↩
4.vgl. BVerfGE 18, 85, 93; 102, 347, 362; 111, 366, 373↩
5.vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl.2016, § 161 Rn. 16 f.↩

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